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Landkarten
der Psyche - Die Hand als Weg zum Selbst
In
Händen lesen -Deine Stärken, Deine Schwächen
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Leseprobe: Im Labyrinth der Kraft
Es begann alles damit, dass Aldo verschwunden war. Nein, eigentlich begann
es damit, dass ich aus dem Küchenfenster schaute und unten bei der
Zeder eine Frau stehen sah. Wie kommt denn die bloss herein, dachte ich.
Aber eigentlich dachte ich noch gar nicht richtig, denn es war morgens,
kurz nach sieben, und ich war noch ziemlich verschlafen. Also machte ich
einfach weiter, gab Wasser zu Aldos Flocken und suchte den Büchsenöffner
für sein Fleisch.
Inzwischen war auch die Kaffeemaschine warm und ich konnte mir meinen
Kaffee kochen.
Der erste Kaffee am Morgen, das ist ja jedesmal ein kleines Fest. Endlich
rinnt etwas die trockene Kehle hinunter. (Ich gehöre zu den seltenen
Frauen, die zugeben, dass sie - gelegentlich - schnarchen, und ich stehe
dazu, dass mein Hals am Morgen trocken ist.) Also, ich sass so da, schlürfte
meinen herrlichen Kaffee und schaute gedankenverloren auf die Türen
meiner Küchenschränke (Sie sind
nicht mehr die schönsten, sicher schon über zwanzig Jahre alt.
Am besten wäre es, alles heraus zu reissen und eine neue Küche
einzubauen. Aber Du weisst ja, was allein das Ausräumen des Geschirrs
für eine Heidenarbeit ist. Also bleibt halt alles so, wie es ist.)
Und dann schnappte ich mir Aldos Napf und ging nach draussen. Aber der
Hund war nicht da. Und damit wurde ich wach.
Das hat es noch nie gegeben: Jeden Morgen, wenn ich die Tür aufmache,
steht Aldo, den ich ja eine Viertelstunde vorher herausgelassen habe,
vor mir und schwingt seinen schwarzen Schweif von links nach rechts, so
breit wie die Türe, weil er sich auf sein Frühstück freut.
Meistens höre ich ihn schon schnüffeln und japsen, bevor ich
überhaupt raus zu ihm komme. Und an diesem Tag: nichts.
Das gibt es doch nicht, dachte ich mir. Zuerst ein fremdes Weib in meinem
Garten und jetzt der Hund verschwunden. Irgend etwas ist da faul.
Ich ging rasch ins Schlafzimmer rauf und zog mir was Richtiges an. Was
halt so da lag, die Jeans von gestern und ein Hemd. Charles lag noch immer
mit offenem Mund schlafend da. Und ich runter und raus.
Du weisst ja, Loredana, unser Garten ist recht gross und zieht sich den
Abhang hinunter bis zu diesem Strässchen und dem kleinen Bach. Weil
dieser Abhang, ungefähr dort, wo die grosse Zeder steht, plötzlich
steil abfällt, kann man nicht bis zum Zaun sehen, der unser Gelände
unten abschliesst.
Vor der Haustüre sehe ich mit einem Blick, dass Aldo nicht in der
Einfahrt ist. Ich, bereits irgend etwas ahnend, gehe also ums Haus herum,
wo vor der Küchentür der volle, vereinsamte Hundenapf steht.
Schnell will ich jetzt über den Rasen und hinunter zum Bach. Das
Gras ist leicht feucht, und es ist angenehm, mit nackten Füssen zu
gehen und den Tau zwischen den Zehen zu fühlen. Schade, dass man
das so selten macht.
Ich pfeife und rufe, aber der Hund taucht nirgendwo auf. Und dann, bei
der Zeder angekommen, sehe ich das Unheil: Unten im Zaun klafft eine bösartige
Lücke. Und zwar genau an der Ecke, wo unser Grundstück an das
nächste anschliesst. Auch der Zaun des Nachbars ist durchlöchert.
Da muss doch irgend so ein Blödmann mit seinem Auto brutal hineingefahren
sein!
Wahrscheinlich war das ein Lastwagen, denn das Loch ist wirklich beträchtlich
und nicht nur der Maschenzaun ist zerrissen, sondern auch zwei der Metallstützen
sind recht ramponiert. Immerhin, der wird auch eine ordentliche Beule
haben, dachte ich mir. Etwas Schadenfreude brauchte ich schon, um meinen
Aerger über die Zerstörung zu verdauen. Und was das wieder für
ein Theater abgäbe, bis ich endlich einen gefunden hätte, der
sich dazu bequemen würde, das alles zu reparieren!
In mein Schicksal ergeben, klettere ich nach unten, um alles genau anzusehen.
Natürlich hat Aldo die Gelegenheit benützt und sich aus dem
Staub gemacht. Er wird wieder lustvoll sämtliche Müllsäcke
plündern und das Quartier in Weissglut versetzen, bevor er dreckig
und glücklich nach Hause kommt. Und ich werde mich scheinheilig bei
den Nachbarn entschuldigen, wie es sich gehört. Und dann werde ich
den Spengler anrufen, der uns letzthin gesagt hat, dass wir unseren Heizkessel
ersetzen müssten. Wenn der hofft, einen Heizkessel verkaufen zu können,
bringe ich ihn vielleicht dazu den Zaun zu flicken.
Und dann bin ich unten und ärgere mich, dass ich keine Schuhe angezogen
habe, denn hier wuchern Brombeeren, und ich komme nur mit Kratzern und
Schmerzen zur Unglücksstelle. Rätselhaft ist mir, wie man auf
dieser kleinen, engen Strasse so schnell fahren kann, dass die Wucht reicht,
um so viel Zaun umzumähen! Es ist tatsächlich ein gewaltiges
Loch. Und auch die Rundhölzer beim Nachbarn sehen zersplittert aus,
als ob eine Granate eingeschlagen hätte. Ich gehe rüber. Sein
Zaun ist so eine Art Pferdekoppel: Zwei horizontale Hölzer auf Holzstützen
genagelt, das untere gerade in der richtigen Höhe, um den Fuss darauf
abzustützen, das obere, um Arme und Kinn darauf zu legen. So stehe
ich also, bequem aufgestützt, und gucke etwas trübselig ins
Wasser, das immerhin munter und fröhlich sprudelt und schäumt.
Das Wasser dieses Baches ist, wenigstens dem Aussehen nach, noch immer
erfrischend klar. Seine Ufer sind romantisch mit Kräutern aller Art
bewachsen. Und wenn man in die
Nähe geht, kann man wellige, grüne Wasserpflanzen sehen, die
sich wie Feenhaare in der Strömung schlängeln.
Während ich so versunken gucke und mit den harten Tatsachen dieses
Morgens zurecht zu kommen versuche, höre ich Schritte hinter mir.
Und wie ich mich umdrehe, kommt Gana aus dem Gebüsch. Ich nicke ihm
einen schönen guten Morgen zu und verfolge, wie er den Schaden an
seinem Zaun untersucht. Er bleibt stumm und schüttelt nur den Kopf.
Dann geht er zu unserem Zaun und schaut sich die Bescherung an. Und dann
kommt er zurück. Ich stehe einfach immer noch sinnlos herum. "Das
muss ein schöner Idiot gewesen sein", meint er. Und "Na,
ja." Und dann kommt er auf mich zu und fasst mich am Arm.
Ich stehe da wie angewurzelt. Zu Stein erstarrt. Ich weiss nicht, was
mit mir geschieht. Etwas fährt durch meinen Körper, das mich
annagelt. Ich weiss nicht, ist es heiss oder kalt. Ich weiss nicht, ist
es gut oder schlecht. Ich sehe einfach Ganas Gesicht vor mir und seine
Augen, ich glaube, ich weiss in jenem Moment nicht einmal, ob sie hell
oder dunkel sind, ich schaue in seine Präsenz und verliere mich irgendwohin.
Frag mich nicht, was das ist. Ich stand da, wie ich vorher noch nie in
meinem Leben dagestanden bin, jedenfalls.
Und dann hörten wir rufen: "Was ist los da unten?".
Mit grössten Schwierigkeiten zog ich meinen Blick aus Ganas Augen
weg und schaute, wer da rief, und sah seinen Bruder Bertrand kommen. Und
dann stammelte ich: "Lass mich los, Gana, ich kann sonst nicht weg."
Denn so unwahrscheinlich, es klingt: Ich war tatsächlich von seiner
Berührung gelähmt. Ich konnte nicht vorwärts und nicht
rückwärts und dieser Bertrand war auf dem Anmarsch, und mir
war die Situation so peinlich, wie man es sich überhaupt nur vorstellen
kann. Aber dieser freche Junge lachte mich doch einfach an und verstärkte
seinen Griff. Das war das Unglaublichste, was mir jemals passiert ist.
Aber auch das Schönste. Und dabei war es erst das dritte Mal, dass
wir uns gegenüber standen.
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