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Landkarten der Psyche - Die Hand als Weg zum Selbst

In Händen lesen -Deine Stärken, Deine Schwächen

 


Leseprobe: Auf den Schwingen des Pendels

Anna Töpfer legte den Hörer auf. Die atemlose Stimme der Frau klang ihr noch im Ohr. Kühl und beherrscht hatte sie geklungen, als ob sie die Verzweiflung nur mühsam unterdrücken könne. Zwar hatte die Frau keine grossen Worte gemacht, keine schwülstigen Appelle. Aber ihr Satz "Ich weiss einfach nicht mehr weiter!" klang so endgültig, dass Anna sich nicht entziehen konnte.

Nicht dass sie sich überhaupt hätte entziehen wollen! Anna war eine professionelle Heilerin und daran gewöhnt, dass man sie um Hilfe bat. Geduldig, offen und voller Wärme lieh sie ihren Besuchern ihr Ohr, hörte aufmerk sam auf die Klagen und Seufzer, die Argumente, die Schlaumeiereien und das Lamentieren. Aber auch wenn sie für alle verfügbar zu sein schien, so fühlte sie selber doch nur zu gut, dass es in ihrem Inneren einen Platz gab, den sie ganz für sich frei hielt und zu dem niemand Zugang erhielt. Ein Ort des inneren Rückzugs war es, der ihr erlaubte, unberührt zu bleiben von den dramatischen Geschicken, die ihr die Menschen unterbreiteten, die ihre Hilfe suchten. Ein Ort der Stille und der Leere, den sie nur mit grosser Mühe und im Laufe von vielen Jahren in sich gefunden, oder besser, aufgetan hatte.

Die Frau am Telefon aber war in diesen Freiraum eingedrungen. Nicht wissentlich, nicht offensiv, aber unabweisbar. Eine Schwingung in ihrer Stimme hatte etwas tief in Annas Innerem zum Klingen gebracht. Und diese tonlose Vibration wa r es, was sie nun als einen leichten Schmerz in ihrem Solarplexus spürte. Anna fühlte sich angegriffen und bedrückt. Doch sie atmete tief durch und beschloss, sich erst mal eine Tasse Tee zu machen.

Heller Sonnenschein schien durch unbedeckte, glnzend saubere Scheiben auf das bernsteingelbe Parkett. Die weissgestrichenen Wände reflektieren das goldgelbe Licht. Grosse Grünpflanzen warfen lange, verschlungene Schatten. Der nicht all zu grosse Raum wirkte luftig und leer durch seine sparsame Möblierung. Grosse bizarre Bilder hingen an den Wänden. Aber auch sie wirkten leicht durch ihre kühle Konstruktion und ihre sanften Farben.

:Anna hielt am Küchenfenster inne und atmete den Duft des dichtstehenden Basilikums, das hier üppig in Blumenkästen blühte. Auch die Gartenbeete unter dem Fenster strotzten vor Grün: Wildgekrauste Salate bildeten geschlossene Reihen, der vielblättrige Kürbis blühte in sattem Gelb, Bohnen hingen in dicken Gruppen zwischen herzförmigen Blättern und im silbrigen Salbei summten die Bienen. Ein Tag voll Sommerglück. "Aber ihr werdet warten müssen", sagte Anna zum Fenster hinaus, "heute ist nichts mit Garten."

:#4403,8461Sie setzte den Wasserkessel auf. Und während ihr Blick über die Regale mit blitzenden Gläsern und blanken Pfannen glitt, sah sie nur leeres Grau und fühlte diesen dumpfen, wattigen Schmerz in sich, von dem sie nicht wusste, woher er kam. Sie hörte die Stimme der Frau, die ihre Geschichte ins Telefon sprach, scheinbar kontrolliert, aber in Wirklichkeit atemlos. Kühl, aber doch ungebremst, weil der Druck in ihr übermächtig war. Kein Dammbruch, sondern Beherrschtheit. Aber unter der glatten Oberfläche ihrer Worte spürte Anna das Leiden heraussickern, wie aus einer aufgebrochenen Wunde mit jedem Pulsschlag das Blut herausquillt. Unerbittlich und gefährlich. Worte aus einem geheimnisvollen, abgrundtiefen Dunkel. Dabei war es eine Geschichte wie viele andere auch: Eine Frau ohne Mann und ein todkrankes Kind. Trauer, Verlassenheit, verdrängter Schmerz und verhaltener Zorn. Doch diesmal drang alles tief in Anna ein, wurde zu ihrem Leiden, frass ihre Energie und machte sie zunehmend kraftlos, als ob es ihr Blut wäre, das hier stossweise versickerte. Und sie fühlte in sich die Versuchung, nachzugeben, sich der wachsenden Lähmung hinzugeben, die sie wie einen vielversprechenden Schlaf in sich aufsteigen fühlte. Da schreckte sie das Pfeifen des Wasserkessels auf und das Hantieren mit den Teeutensilien löste ihre Starre.

Und dann tat der Tee das Uebrige. Sie fühlte, wie seine wohltuende Wärme tief in sie eindrang und ihren Körper lockerte. Und erst jetzt wurde ihr bewusst, dass ihr trotz der Sonnenwärme im Raum eiskalt gewesen war. Ihr Körpergefühl kehrte zurück und sie spürte die glatte Glasur der Tasse, die Wärme an den Fingern, die diese umschlossen, während der Henkel kühler und hart am Daumenballen lag. Sie fühlte ihr Gewicht und den Stuhl, der es trug, und das polsternde Kissen unter ihren Schenkeln. Und wie sie nun aus dem Fenster in den Garten schaute, in dem sich der Mittagsfrieden eines warmen Tages anzukündigen begann, da schien ihr, als ob auf allen Blättern ein Goldglanz läge. Und tatsächlich begann nun alles, Gemüse, Blumen und Bäume, auch der an den Apfelbaum angelehnte Rechen, und jetzt auch die Gegenstände in der Küche, von innen heraus zu strahlen und in einem sanften, warmen Licht aus sich heraus zu leuchten. Und über den Summton der tausend Insekten legte sich ein fast unhörbares Klingeln, das die sonst herrschende Stille unterstrich. Behaglich fühlte Anna den Atem tief in ihre Lunge dringen: "Das Andere" hatte ihr ein Signal gegeben. Alles war gut. Kein Grund zur Beunruhigung. Anna entspannte sich. Aber noch immer begriff sie nicht, was los war.Energisch nahm sie nun die letzten Schlucke, stellte die Tasse hart auf den Tisch und ging mit für eine Frau erstaunlich langen Schritten hinüber ins spartanisch eingerichtete Arbeitszimmer. Dort setzte sich an den grossen Zeichnungtisch, auf dem mächtige Papierbögen und sauber geordnete Farbstifte bereitlagen. Das durch die Nordlage des Zimmers bereits gedämpfte Licht drang mild durch die weissen Vorhänge. Anna langte nach einer altmodischen, reichverzierten Schatulle und nahm ihr Pendel hervor.

An einer feinen, silbernen Halskette hingen ein kleiner, tropfenförmiger Aquamarin und ein etwas grösserer, ungeschliffener Bergkristall. Anna wickelte die Silberkette zweimal um den rechten Zeigefinger und hielt sie ohne Druck zwischen Zeigefinger und Daumen. Den Aquamarin verbarg sie dabei in der geschlossenen Hand. \\ber der Tischplatte baumelte nun der Bergkristall an der noch etwa handlangen Kette.

Er war kein reiner Kristall. In seiner Mitte glänzte ein tropfenförmiger Einschluss, opak aber funkelnd wie helles Quecksilber, weisser als weiss, metallischer als Metall, und bei jeder Bewegung blitzten aus diesem Einschluss di e irisierenden Farben des Regenbogens, so schnell und zart, dass sie fast nicht wahrnehmbar schienen.

Anna stützte den Ellenbogen auf und hielt das Pendel still, zentriert über einem Blatt Papier. Ein zartes Vibrieren glitt nun der Kette entlang zum Kristall. Anna fixierte die blendende Weisse des Tropfens und atmete tief in sich hinein. Und so leer und so weiss wie der Einschluss wurde nun ihr Inneres. Sie spürte sich und sie spürte sich nicht. Sie war in voller Konzentration da, aber sie war auch nicht vorhanden, weil ihre Offenheit so gross war, dass sie die Form eines Menschen sprengte.

Und nun stellte sich stumm die Frage, denn es gab niemand mehr der fragte. Und das Pendel setzte sich mit einem Zucken in Bewegung.

Ein leichter Ausschlag nach oben rechts. Anna verfolgt die Linie mit einem weichen Bleistift, den sie in der Linken hält. Nach etwa 2 Zentimetern stoppt das Pendel und versetzt sich in eine kleine Querschwingung. Ein Zeichen, dass dieser Strich vollendet ist. Anna setzt die Pendelspitze zurück auf den Ausgangspunkt. Der Kristall antwortet mit einem symmetrischen Ausschlag nach oben links. Ein kleiner Winkel von etwa 45 Grad ist entstanden. Zurück am Ausgangspunkt will sich nun aber das Pendel nicht weiter bewegen. Also lässt Anna es darum an den Enden des Winkels halten. Es zeigt zweimal senkrecht nach oben: Aus dem Winkel entsteht ein deutlicher, dicker Pfeil, der auf seiner Spitze in der Mitte de s Zeichenbogens steht. An seiner Basis dreht sich nun das Pendel und setzt einen linksdrehenden kleinen Kreis auf den Pfeil, wie einen Kopf auf den Hals. Dann soll der Kreis geteilt werden. Die linke Hand zeichnet, ohne es wirklich zu wollen, das chinesische Chi-Zeichen, Yin links, Yang rechts.

 

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