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Landkarten
der Psyche - Die Hand als Weg zum Selbst
In
Händen lesen -Deine Stärken, Deine Schwächen
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Leseprobe: Die Königin der Feuersalamander
Mit vierzehn verliebte sich Falkner in die Alchemie. Jede freie Minute
verbrachte er hinter alten Büchern und besah sich seltsame Abbildungen,
die er nicht begriff. Merkwürdige Gesellen hantierten mit unbekannten
Geräten. Zahlen und Planetenzeichen waren in unverständlichen
Diagrammen angeordnet. Und eine erstaunliche Welt von Menschen und Tieren
breitete sich schwarz-weiss und farbig vor ihm aus. Stundenlang betrachtete
er die dargestellten Frauen, bestaunte ihre wundervollen Königinnengewänder
und noch mehr ihre Brüste und ihre nackte Geschlechtlichkeit, die
sie unverhohlen darboten. Er wunderte sich über die Vögel, Lilien
und Löwen, die sie umgaben, die Drachen, die ihnen zu Füssen
lagen, die Sterne
über ihnen oder in ihren Händen. Geheimnisvoll waren ihm die
Vereinigungen, die sie, im Zeichen von Sonne und Mond, mit bärtigen
Königen vollzogen. Diese schienen dabei dahin zu sterben, doch erhoben
sie sich wieder und kamen wie Bühnenhelden in roten Königsmänteln
daher geschritten, begleitet von Zeichen und Wundern.
Das Geheimnis ergriff ihn, mehr noch als die sexuelle Kraft der Bilder,
die den Knaben natürlich ebenfalls umtrieb. Er ahnte in sich den
König und die Königin, er fühlte die Schwere der Materie,
die ihn fesselte, und eine unbekannte Kraft, die ihn vorwärts trieb,
in eine Richtung, die er nicht zu ahnen wusste. Er spürte die Hitze
des Feuers, das irgendwo seine Flammen züngeln liess als tausendfache
Möglichkeit des Möglichen, wie ein Versprechen. Und er bat Mercurius
mit den vielen Gesichtern, sein Führer zu sein, weil er sah, wie
dieser in wechselnden Gestalten wechselnde Wirkungen auslöste, vermittelnd
zwischen Feuer und Erde, zwischen König und Königin, zwischen
den Göttern und den Sterblichen.
Eine merkwürdige Vorstellung verfolgte ihn. Er dachte, dass es ihm
auf irgend eine Weise gelingen müsse, die widersprüchlichen
Bilder in seinem Innern zur Ruhe zu bringen, die Gegensätze von Sonne
und Mond, von heiss und kalt, von oben und unten in sich zu vereinigen.
Er musste selber zum wasserspeienden Löwen werden, zum doppelgesichtigen
Hermaphroditen oder zur Schlange, die sich in den Schwanz biss. Er hatte
allerdings keine Ahnung, wie er das schaffen sollte.
Instinktiv setzte er auf das Feuer. Eine nicht endenwollende Hoffnung
ergriff ihn und eine Faszination für das hitzige Element, ob dieses
sich als Sonne, als Gold oder als Schwefel in seinen Büchern zeigte.
Von der himmlischen Hitze erhoffte er sich Erlösung. Und so berührten
ihn alle Symbole des Feuers in der tiefsten Tiefe seiner Seele.
Kein Wunder also, dass er betroffen war, als er auf seinem Schulweg einen
toten Feuersalamander fand. Ein Wagen hatte ihn flach gefahren. Unscheinbar
lag er da, trocken und dünn, wie ausgeschnitten aus einem Pappestück.
Falkner besah die gelbe Zeichnung auf seinen Flanken, die zwar verblasst
aber noch deutlich sichtbar war: Helle Flecken, die nicht mehr leuchteten,
weil der Feuersalamander in den Zustand der Kälte zurückgekehrt
war.
Falkner brachte es nicht über sich, den toten Salamander liegen zu
lassen. Er pflückte ein grosses Huflattichblatt vom Wegrand, wickelte
den kleinen Kadaver sorgfältig ein und trug ihn bis zur nöchsten
Kreuzung. Dort begrub er ihn sorgfältig unter einem Stein. Er hatte
ohne Ueberlegung gehandelt , aber ihm schien, dass alles passte und richtig
war. Beunruhigend war allerdings, wie nun seine Hände brannten. Als
ob das tote, trockene Tier noch Hitze ausgestrahlt hätte. Ihm wurde
beklommen zumute.
In der folgenden Nacht hatte Falkner einen merkwürdigen und seltsam
deutlichen Traum: Er sass hinter einer Glasscheibe, wie ausgestellt in
einem Schaufenster. Und eine wunderschöne Frau mit wildem, rotem
Haar ging aussen, durch das Glas getrennt, mit zögernden Schritten
an ihm vorbei. Sie sah ihn nachdenklich und fragend an. Und Falkner wusste,
sie war die Königin der Feuersalamander, die gekommen war, um ihm
zu danken und ihn zu prüfen. Er verstand nicht, was sie von ihm wollte.
Er begriff nur, dass sie prüfte, ob er sich bewähren würde.
Aber Falkner wusste nicht, was geprüft wurde, in welcher Situation
er sich bewähren müsse oder versagen könnte.
Später wurde Falkner Chemiker und vergass seinen Traum.
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Die elektrische Tür öffnete sich mit Zischen und die Kellnerin
schaute zur Uhr. Punkt zehn. Falkner hatte das Lokal betreten - wie jeden
Tag ausser am Sonntag. (Dann blieb das Café nämlich geschlossen
und die Kellnerin fuhr zu ihrer Mutter aufs Land.) An diesem Tag aber
bereitete sie nun mit ruhigen, sicheren Bewegungen einen Milchkaffee,
mischte die schwarze Brühe mit sahniger Milch und strich den weissen,
flockigen Schaum vom Kännchen in die Tasse. Ungefragt trug sie diese
in die Ecke, wo Falkner bereits am Fenster sass und sein Gesicht in der
Zeitung versteckte.
Guten Morgen", sagte sie freundlich, "gut geschlafen?"
Aber Falkner brummelte nur etwas, das nicht zu verstehen war.
Das war ungewöhnlich. Normalerweise blickte er sie freundlich und
geradeaus an und begrüsste sie, wie er früher seine Kollegen
im Labor begrüsst hatte - damals als er noch der berühmte Professor
Falkner war, der an einer ganz besonderen Reihe von Stoffen arbeitete,
die schliesslich seinen Fall und Untergang bewirkten. Aber das war ja
nun inzwischen einige Jahre her und Falkner dachte nur noch sehr selten
und praktisch ohne Bitterkeit daran.
Falkner trug seinen Namen zu Recht, denn irgend etwas war vogelartig an
ihm. Vielleicht waren es die ausgetrockneten, mageren Hände, die
sehnig wie Vogelfüsse wirkten. Vielleicht war aber auch seine schmale,
leicht gebogene Nase daran schuld. Oder lag die Vogelhaftigkeit in seinem
Blick, der, trotz der nebligen Gräue seiner Augen, stechend und scharf
war?
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